Die jüdischen Sonderkommandos im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau 1942-1945:

Im größten nationalsozialistischen Konzentrationslager Auschwitz- Birkenau begann Anfang Mai 1942 die systematische Massenvernichtung der europäischen Juden. Der grausame technisierte Mordprozess war ein arbeitsteiliger Vorgang, der von SS-Angehörigen durchgeführt wurde, die dafür mit Sonderrationen, Sonderurlaub und Beförderung honoriert wurden.



   

Schauplatz der ehemaligen alten Selektionsrampe, Oswiecim-Brzezinka, © A. Kilian 1994

Zur restlosen Spurenbeseitigung der Verbrechen und zur Bedienung der Verbrennungsanlagen setzte die SS jedoch Häftlinge zur Zwangsarbeit ein, die meist kurz nach ihrer Einlieferung völlig ahnungslos im Lager ausgesondert und von anderen Lagerinsassen isolierte wurden. Aus pragmatischen und ideologischen Gründen wählte die SS zu diesem Zweck Juden aus, da sie die überwiegende Mehrheit der Häftlingszugänge stellten. Überdies konnten sie auf diese Weise von der SS in deren Vorstellung als Untermenschen entwürdigt und erniedrigt werden. Im Sinne einer totalen Vernichtung sollte ihrer physischen Tötung ein leidvoller Seelenmord vorausgehen.

Die in der Vernichtungsmaschinerie unfreiwillig eingesetzten jüdischen Arbeitskommandos nannte die SS euphemistisch „Sonderkommandos“. Im Laufe der Jahre wurden diese Todeskommandos mit Privilegien ausgestattet, die sowohl die Facharbeitskraft erhalten als auch den Durchhaltewillen der Verzweifelten für die peinigende und unmenschliche Leichenarbeit fördern sollten.

    

Ruine des „Weißen Hauses“ (Vergasungsbunker 2), Brzezinka, © A. Kilian 1992; Gelände des „Roten Hauses“ (Vergasungsbunker 1), Brzezinka, © A. Kilian 1994

Durch diese Privilegierung erreichte die Lagerführung eine zusätzliche moralische Separierung der Sonderkommandos von den übrigen Häftlingen, indem sie den Anschein der Kollaboration erweckte. Tatsächlich hatten die unglücklichen und missbrauchten Sonderkommando-Häftlinge jedoch keine Wahl. Wer sich der infamen Zwangsarbeit verweigerte oder als arbeitsunfähig betrachtet wurde, den ermordete die SS erbarmungslos.

Von Mai 1942 bis Januar 1945 wurden in den Sonderkommandos von Auschwitz-Birkenau insgesamt etwa 2200 Häftlinge zur Zwangsarbeit herangezogen. Die Kommandostärke hing von der Arbeitskapazität und der Vernichtungspolitik der Lagerführung ab und bewegte sich zwischen 100 und 874 Häftlingen.

Als sogenannte Geheimnisträger wurden die Augenzeugen des Völkermords von der SS zum Tode verurteilt und im Rahmen von Vergeltungsmaßnahmen und nach der Beendigung von größeren Vernichtungsaktionen in insgesamt fünf Etappen liquidiert. Grundsätzlich sollten die Sonderkommando-Häftlinge jedoch bis zuletzt als eingearbeitete Facharbeiter am Leben gehalten werden, daher fand letztlich nur eine vollständige Liquidierungsaktion am 9. Dezember 1942 statt.

    

Hof der Blöcke 1 (Strafkompanie) und 2 (Sonderkommando) in Lagerabschnitt BIb (bis Juli 1943), © A. Kilian 1992; Hofmauern zwischen den Blöcken 11 (Strafkompanie) und 13 (Sonderkommando) sowie der dazwischenliegenden Sanitärbaracke in Lagerabschnitt BIId (seit Juli 1943), © A. Kilian 2016

Die unglückseligen Häftlinge dieser Arbeitskommandos wurden von ihren Peinigern dazu gezwungen, die zur Ermordung bestimmten Menschen zu empfangen und zu beruhigen, Gebrechliche in die Gaskammern zu tragen sowie für einen raschen Auskleidungsprozess und Gang in die Gaskammern zu sorgen. Nach der Ermordung mussten sie die Gaskammern leeren und reinigen, die Leichen der Opfer in allen Körperöffnungen auf Wertsachen untersuchen, deren langes Kopfhaar abschneiden, das Schnitthaar für die industrielle Verwertung reinigen, Goldzähne ausreißen, Prothesen abzunehmen, die Körper in den Krematoriumsöfen oder Verbrennungsgruben einäschern, die Knochenreste zerschlagen und die Asche verstreuen. In den Entkleidungsräumen mussten sie die verbliebene Habe der Opfer einsammeln und zum Weitertransport vorbereiten. Bei Erschießungsaktionen auf dem Krematoriumsgelände mussten sie die Opfer ablenken und festhalten. Die Ausweglosigkeit und die erschreckende Hilflosigkeit in der Extremsituation lähmte meist jeglichen Widerstand der traumatisierten Häftlinge und führte zum Einsetzen eines radikalen Überlebenstriebs.

Aber nicht nur der Kontakt zu den Toten war traumatisierend. Auch die Begegnung mit den kurz vor ihrer Ermordung stehenden Opfern, darunter nicht selten Bekannte und Verwandte, sowie die Schuldzuweisungen und Kollaborationsvorwürfe einiger Opfer verstärkten noch ihr moralisches Dilemma und ihre seelischen Qualen. Die Häftlinge befanden sich in einem psychischen Ausnahmezustand, der von Selbstverachtung und Selbstvorwürfen bestimmt war.

Als einzigen Augenzeugen, die im Zentrum der Vernichtung eingesetzt wurden, waren sie die Letzten, die mit den Opfern noch kurz vor deren Ermordung in Kontakt kamen.

Asche-Teich hinter Krematorium III(IV), Brzezinka, © A. Kilian 1994

Daher wurden auch aus Gründen der Verständigung zu Beginn von größeren Mordaktionen stets Häftlinge in das Sonderkommando eingewiesen, die aus den Herkunftsländern der Opfer stammten. Die zwischen 16 und 54 Jahre alten Männer stammten aus insgesamt 18 Nationen, mehrheitlich aus Polen, der Slowakei, Frankreich, Holland, Griechenland und Ungarn und verständigten sich in 11 verschiedenen Sprachen. Die unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründe der internationalen Häftlingsgemeinschaft verhinderten jedoch eine allgemeine Solidarität, obwohl die meisten Sonderkommando-Häftlinge zunächst das gleiche Schicksal teilten.

Mit der Inbetriebnahme von vier neuen Krematorien in Birkenau zwischen März und Juni 1943 verbesserten sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen des Sonderkommandos. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich im Zeitraum zwischen Herbst 1943 und Oktober 1944 ein Handlungsraum, in dem organisierte Widerstandsaktivitäten, die auf einen bewaffneten Häftlingsaufstand abzielten, geplant und durchgeführt werden konnten. In einer verzweifelten Revolte versuchten sich Sonderkommando-Häftlinge am 7. Oktober 1944 schließlich an ihren Peinigern zu rächen und die Vernichtungsanlagen zu zerstören. Der Aufstand scheiterte und endete in einem Blutbad, dem auch drei SS-Angehörige zum Opfer fielen.

Ruinen der Krematorien I(II) und II(III), Brzezinka, © A. Kilian 1995

Als Ende Oktober 1944 die Auschwitzer Gaskammern zum letzten Mal benutzt wurden, waren bereits 1,1 Millionen Menschen in der Todesfabrik Auschwitz ermordet worden. Das Sonderkommando stand nun vor seiner vollständigen Liquidierung, doch gelang es den letzten 100 Überlebenden am 18. Januar 1945 im Chaos der Lagerauflösung ins Konzentrationslager Mauthausen deportiert zu werden. Die meisten von ihnen überlebten das Kriegsende. Sechzig Jahre nach der Befreiung von Auschwitz lebten weltweit noch 18 ehemalige Sonderkommando-Häftlinge, die meisten von ihnen in Israel und den USA.


Hinweis:

Vorliegender Beitrag erschien in einer gekürzten Version am 20. Januar 2005 in dem Filmheft zum US-Spielfilm „Die Grauzone“:

André, Bernhard und Andreas Kilian: Film-Heft Die Grauzone. Hg. Vom Institut für Kino und Filmkultur im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung, Köln 2005.

Der Verfasser dankt dem Institut für Kino und Filmkultur e.V. für die freundliche Genehmigung, den Text auf www.sonderkommando-studien.de präsentieren zu können.


(Letzte Änderung: 31.01.2005)