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Inhaltsübersicht:

 

Weltweit erste Präsentation:

„La lettre retrouvée de H. Strasfogel (Sonderkommando)“/

„Der geborgene Brief von H. Strasfogel (Sonderkommando)“

Roundtable am 10. März 2019, Mémorial de la Shoah Paris, Frankreich

Veranstaltet von: Karen Taieb, Mémorial de la Shoah

Veranstaltungsfoto © Michel Odesser 2019

Die Wiederentdeckung eines konspirativen Briefs

Nach der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 wurde rasch mit der Sicherstellung von Beweisen der Massenmorde und Verbrechen auf dem Lagergelände begonnen. Nur wenige Zeugen und Überlebende kehrten an den Schauplatz der Verbrechen zurück, darunter auch ehemalige Sonderkommando-Häftlinge, die als „Geheimnisträger“ in den Vernichtungsanlagen arbeiten mussten und zum Teil Kenntnis von vergrabenen Handschriften hatten, die das Geschehen auf dem Krematoriumsgelände akribisch dokumentierten. Die Verstecke dieser einzigartigen Zeugnisse konzentrierten sich auf den Hinterhof von Krematorium II (III) in Birkenau, dessen Gelände am besten durch Bäume geschützt und am schwierigsten zu überwachen war. Dies machte sich auch ein französischer Sonderkommando-Häftling polnischer Herkunft zu Nutze, der in Erwartung seiner eigenen Liquidierung am 6. November 1944  in französischer Sprache einen bewegenden acht seitigen doppelseitig und in der Mitte gefalteten beschriebenen Abschiedsbrief und letzten Gruß an seine Frau und Tochter verfasste. Der Verfasser unterzeichnete seinen Brief nur mit seinem Vornamen „Herman“. Er wurde sehr wahrscheinlich Ende November 1944 im KL Gross-Rosen ermordet.

Präsentationsfolie © Andreas Kilian 2019

Etwa zwei Wochen nach der Befreiung des Lagers entdeckte der freiwillige Helfer des Polnischen Roten Kreuzes Andrzej Zaorski den Brief, der schließlich nach Paris gelangte und zur Suche nach den Adressaten führte.  Obwohl diese vorerst erfolglos blieb, das Original verschwand sowie seit 1948 nur eine fehlerhafte Transkription bekannt war, und der Verfasser nicht eindeutig identifiziert werden konnte, wurde die Autorenschaft erst einem gewissen Herrn Herrmann, schließlich Chaim Herman sowie in einem Fall einem gewissen Georges Bermann zugesprochen. Erst im Jahre 2018 konnte der wahre Verfasser des Briefs identifiziert werden: Herman „Hersz“ Strasfogel.

             

Präsentationsfolien © Andreas Kilian 2019

Nach dem Tod dessen Witwe im Jahre 1989 wurde im Nachlass der Originalbrief Herman Strasfogels gefunden und von der Tochter im Jahre 2002 Kopien von dem Brief und einem Foto des Verfassers an die Gedenkstätte Mémorial de la Shoah geschickt, mit der Absicht, den Namen ihres Vaters an der Namenswand des Shoah-Denkmals verewigt und eine Anerkennung von Herman Strasfogel als Opfer der Shoah zu erreichen. Die Kopie des Briefs verschwand im Archiv von Memorial und wurde nur als „Brief aus Birkenau“ registriert, bis sie im Rahmen von Recherchen für eine geplante Publikation über Korrespondenzen aus Birkenau von der Archivleiterin Karen Taieb im April 2018 entdeckt worden war. Taieb erkannte schließlich, dass der Briefinhalt identisch mit einem bereits mehrfach publizierten Brief war, der jedoch bislang primär Chaim Herman zugeschrieben wurde.

Nach mehreren Wochen in absoluter Verschwiegenheit ihrer Entdeckung der Kopie des Originalbriefs und nach einer langwierigen Suche nach der Tochter Strasfogels, die bedauerlicherweise bereits Ende Januar 2017 verstorben war, fand Taieb den Enkelsohn des Verfassers in Paris, der jedoch von der Verbreitung und Bedeutung des Briefs nichts gewusst hatte, und versuchte mehr über den Verbleib des Originals und den Verfasser in Erfahrung zu bringen, was sich als schwierig herausstellte.

Währenddessen hatte Andreas Kilian, der seit 2015 auf der Suche nach dem Original-Brief war und die Autorenschaft Chaim Hermans bereits in Frage gestellt hatte, unabhängig von Taiebs Fund und Kontakt zu dem Enkelsohn des Verfassers bereits Kontakt zu Strasfogels Neffen und Enkeltochter sowie dem Strasfogel-Genealogen Michel Odesser aufgenommen. Auf der Grundlage von den Erinnerungsberichten der Sonderkommando-Überlebenden Leon Cohen (auch verschiedener Interviews) und Marcel Nadjary sowie zahlreichen Indizien gelangte Kilian zu der Schlussfolgerung, dass „Hersz“ Strasfogel der Verfasser des Abschiedsbriefs aus dem Krematorium sein müsse, was durch die biografischen Angaben von Strasfogels Familienangehörigen untermauert werden konnte, die allerdings nichts über den Verbleib des historisch bekannten Briefs oder das Schicksal ihres Onkels und Großvaters im Sonderkommando wussten. Der Grund dafür lag in der Tatsache, dass sogar die Enkelkinder den Brief bis zur Übergabe des Originals an Memorial de la Shoah nie gelesen hatten und das Schicksal ihres Großvaters ein Familien-Tabu war. Strasfogels Neffe gab an, dass die Tochter seines Onkels Simone hieß. Simone ist der im Brief sechs Mal erwähnte Name der Tochter des Verfassers. Schließlich berichtete die Enkeltochter Strasfogels, dass „ein“ Brief ihres Großvaters aus Birkenau bei ihrem Bruder aufbewahrt würde, allerdings würde sie den Inhalt und auch sein Datum nicht kennen und könne daher keine Feststellung darüber treffen, ob es sich um denselben Brief handle. Auf einem Gedenkstein auf einem Friedhof in Paris fand Kilian schließlich die Bestätigung, dass Hersz Strasfogel den naturalisierten Vornamen „Herman“ geführt hatte, also den Namen, mit dem der Verfasser der Krematoriums-Handschrift seinen Abschiedsbrief unterzeichnet hatte. Der letzte Beweis, der Original-Brief, fehlte jedoch noch. Seine ersten Forschungsergebnisse veröffentlichte Kilian in einem Artikel Anfang Oktober 2018. Durch das intensive Interesse von französischer und deutscher Seite und den unabhängig voneinander aufgebauten persönlichen Kontakt zu beiden Enkelkindern Strasfogels (ein dritter Enkel war bereits Jahre zuvor verstorben), fiel schließlich die historische Entscheidung der Familienangehörigen Strasfogels, den bislang streng gehüteten Familienbesitz der Weltöffentlichkeit preiszugeben und sich selber mit dessen Inhalt auseinanderzusetzen.

            Auszug aus Kilians Artikel und Cover des Bulletins aus dem Jahre 2018

Erst als nach Monaten der Verschwiegenheit, einer intensiven Kontaktpflege mit den Enkelkindern von Herman „Hersz“ Strasfogel und mühevoller Überzeugung der Familienangehörigen Strasfogels durch die Archivleiterin Karen Taieb, das Original zu veröffentlichen, wurde Karen Taieb am 7. Oktober 2018 das Original des Briefs im Memorial de la Shoah großzügigerweise von den Enkelkindern in Paris übergeben. Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung seines Artikels erhielt Kilian die Nachricht, dass der Originalbrief gefunden worden sei und damit den letzten Beweis seiner Hypothese, mit dem er seine Untersuchung nun fortsetzen und seine Forschungsergebnisse aktualisieren konnte.

Der sensationelle Fund des Originals wurde schließlich am 27. Januar 2019 durch einen TV-Beitrag über Taiebs Entdeckung in „France 2“ bekannt gegeben. Die weltweit erste Ausstellung von drei Blättern des Originals mit einer Präsentation des bedeutenden Dokuments wurde schließlich am 10. März 2019 im Memorial gezeigt. Zu diesem Anlass organisierte die Gedenkstätte im Auditorium E. J. Safra des Mémorial de la Shoah in Anwesenheit von Béatrice und Laurent Muntlak, den Enkelkindern von Hersz Strasfogel, Alain Alexandra, dem Leiter des Archivs der Opfer der Abteilung für zeitgenössische Konflikte, Andreas Kilian, Historiker, und Karen Taieb, Leiterin des Archivs im Mémorial de la Shoah einen Roundtable. Moderiert wurde dieser von Sophie Brun, Journalistin und Moderatorin beim TV-Sender „France 2“. Die Veranstaltung war zugleich eine Zeremonie, um die Schenkung des Originalbriefs durch die Familie Strasfogel offiziell bekannt zu machen, der in der ständigen Ausstellung des Memorial de la Shoah zukünftig gezeigt werden soll.

Veranstaltungsfoto © Michel Odesser 2019

Eine Woche später wurde am 17. März ein Artikel von Fernando Eichenberg in der brasilianischen Zeitung „O Globo“ mit Aussagen von Karen Taieb, Laurent Muntlak und Andreas Kilian veröffentlicht. Darin heißt es unter anderem:

„Kilian betont die Bedeutung der Entdeckung des Originalbriefs, des ersten Manuskripts, das nach der Befreiung des Lagers gefunden wurde: bislang war nur eine Transkription überliefert, mit einigen Fehlern. Es ist ein besonderer Brief, weil er privater ist und sich von den anderen unterscheidet, bedeutende historische Informationen enthält und sich mit dem Umgang mit Leben und Tod im Alltag des Sonderkommandos beschäftigt. Viele denken, dass sie entmenschlicht worden oder Kollaborateure gewesen wären, die sich wie Tiere verhielten, was nicht wahr ist. Der Verfasser schreibt, dass er politisch aktiv war, dass er im Widerstand war, aber dass er nicht mehr darüber mitteilen könne. Der Inhalt des Briefs offenbart sein politisches Bewusstsein und seine tiefe Liebe zu seiner Familie. Er ist ein sehr wichtiges Beispiel für die Menschlichkeit im Sonderkommando. (…)

Gegenwärtig lebt in Los Angeles nur noch ein Überlebender im Alter von 96 Jahren. Der andere, der noch am Leben war, starb vor ein paar Wochen. Der Brief von Strasfogel erlaubt es uns, seine Rolle in dieser nicht homogenen Gruppe genauer zu betrachten.“

An anderer Stelle wird die Finderin des Original-Briefs, Karen Taieb, zitiert:

„Aufzeichnungen zeigen, dass Strasfogel zwei (nicht mehr vorhandene) Nachrichten geschickt hat, aber sein Brief zeigt, dass er eine Antwort von seiner Familie erhalten hat, etwas ganz Ungewöhnliches, so Karen Taieb: dank des Schreibens von Strasfogel wissen wir, dass die Korrespondenz vom Empfänger gesendet und empfangen wurde. Es ist etwas Außergewöhnliches, das man sich nicht vorgestellt hat, und noch mehr, wenn es um Mitglieder des Sonderkommandos geht, denn sie sollten völlig isoliert sein.“

Die in dem „O Globo“-Artikel zusammengetragenen Forschungsergebnisse von Taieb und Kilian erweiterten die Hintergrundinformationen über den historisch bedeutenden Fund. Weitere Forschungsergebnisse und eine Zusammenfassung der Argumente für die Neuidentifizierung des Verfassers des französischen Krematoriums-Briefs publizierte Kilian schließlich in seinem Artikel:

Kilian, Andreas: Farewell Letter from the Crematorium – On the Authorship of the First Recorded ‘Sonderkommando-Manuscript’ and the Discovery of the Original Letter, in: Nicholas Chare/ Dominic Williams (Ed.): Testimonies of Resistance: Representations of the Auschwitz-Birkenau Sonderkommando, New York/ Oxford 2019, S. 91-101.


Anmerkungen:

Der Artikel von Fernando Reichenberg findet sich in der Ausgabe der „O Globo“ vom 17.03.2019 auf Seite 31 sowie auf folgender Internetseite: https://oglobo.globo.com/mundo/carta-de-vitima-de-campo-de-concentracao-de-auschwitz-ressurge-do-passado-23523548.

Eine zuverlässige Übersetzung des Briefs ins Deutsche (nach einem Abgleich mit der französischen Original-Handschrift durch Andreas Kilian) findet sich in:

Polian, Pavel: Briefe aus der Hölle. Die Aufzeichnungen des jüdischen Sonderkommandos Auschwitz. Aus dem Russischen von Roman Richter, bearbeitet von Andreas Kilian, Darmstadt 2019, S. 511-517.

Veranstaltungshinweis:

Quelle: https://billetterie.memorialdelashoah.org/fr/evenement/la-lettre-retrouvee-de-h-strasfogel-sonderkommando

Ein Video des Roundtables ist bei youtube.com zu finden: https://www.youtube.com/watch?v=vcomPqVg_rs

Filmvorspannbilder auf youtube, © Mémorial de la Shoah 2019


(Letzte Änderung: 09.12.2019)

Internationale und nationale Sonderkommando-Ausstellung

„David Olère – The One Who Survived Crematorium III“/

„David Olère – Überlebender des Krematoriums III“

 

  • 30. Oktober 2018 – März 2019, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau, Oswiecim, Polen

  • 30. Januar – 21. Februar 2020, Ausstellung im Paul-Löbe-Haus des deutschen Bundestags Berlin zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz

 

Ausstellungs-Eröffnungen: am 30. Oktober 2018 und 29. Januar 2020

Kuratorin der Ausstellung: Agnieszka Sieradzka, Kunsthistorikerin, Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Abteilung Sammlungen)

Co-Kuratoren: Serge Klarsfeld, Präsident des Verbands „Fils et filles de déportés juifs de France (FFDJF)“ und Marc Oler (David Olère’s Enkel)

Organisator in Deutschland: Jürgen Kaumkötter, Direktor des Zentrums für verfolgte Künste Solingen

Der Ausstellungsort im Deutschen Bundestag geht auf einen Vorschlag von Beate Klarsfeld zurück, die zur Ausstellungseröffnung auch eine Rede halten wird.

Ausstellungs-Foto © A. Kilian 2018

 

Das vereinte Werk David Olères im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau

 

Bei der Ausstellung „David Olère – The One Who Survived Crematorium III“, die von Oktober 2018 bis März 2019 im Block 21 des Museums der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau gezeigt wurde, handelte es sich um die bisher größte Ausstellung der beeindruckenden Gemälde und Zeichnungen des Künstlers, die fast das gesamte außergewöhnliche Werk über Olères traumatische Erfahrungen im Sonderkommando Auschwitz präsentierte.

Neben 19 Gemälden aus der Sammlung des Auschwitz-Museums, davon eine Schenkung Serge Klarsfelds von 2014 und 18 Neuerwerbungen vom September 2017, die vom Museum Auschwitz restauriert worden waren, zeigt die Ausstellung 61 Leihgaben aus den Sammlungen der Holocaust-Gedenkstätten Yad Vashem und Lohamei ha Getaot in Israel sowie dem Mémorial de la Shoah in Frankreich.


Ausstellungsplakat und -Tafel, Fotos © A. Kilian 2018




Die Ausstellung repräsentiert einen Teil des außergewöhnlichen Werks von Olères künstlerischen Verarbeitung seiner traumatischen Erfahrungen im Sonderkommando Auschwitz, wo er den Massenmord an den europäischen Juden als Zeuge miterleben musste. Olère bildete 1945 und 1946 als Erster die Zwangsarbeit mit Leichen in der Gaskammer und vor den Verbrennungsöfen ab, was als Tabubruch angesehen worden war. Seit vielen Jahren werden die Werke des Augenzeugen von Experten andererseits als zuverlässige und realistische Bildquellen anerkannt. Robert Jan van Pelt, der im Jahre 2000 Olères Zeichnungen sogar als Beweismittel im Prozess des Holocaust-Leugners David Irving heranzog, bezeichnet Olère als „bedeutenden Augenzeugen der Tötungs-Installationen in Auschwitz“.

David Olères Freunden Serge und Beate Klarsfeld sowie seinem Sohn Alexandre und Enkelsohn Marc Oler ist es zu verdanken, dass Olères Kunst seit Jahrzehnten weltweit öffentlich verbreitet werden kann und im Gedenken an Auschwitz tief verwurzelt ist. Der Bekanntheitsgrad von David Olères historisch und künstlerisch bedeutsamen Kunstwerken ist inzwischen vor allem ihrem großen Engagement zu verdanken.


        

David Olère (ca. 1980) und Alexandre Oler (1930-2010); Fotos © A. Kilian 2004 und Marc Oler; Dank an Marc Oler für die Nutzungs-Genehmigung des Fotos seines Großvaters sel. A.

Vom Umfang wird die Ausstellung in Berlin etwas kleiner sein als die letzte und bislang Größte, die im Staatlichen Museum Auschwitz vom 30. Oktober 2018 bis März dieses Jahres zu sehen war. Allerdings werden in Berlin auch drei Bilder gezeigt, die im Museum Auschwitz bislang nicht ausgestellt wurden. Der einzigartige Maler David Olère hinterließ glücklicherweise zahlreiche Zeichnungen und Gemälde über das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, die Todesmärsche sowie der KL Mauthausen, Melk und Ebensee, die auf Museen und Institutionen in Frankreich (Drancy, Champigny, Paris), Israel (Yad Vashem; 1976 Getto Fighters House), Polen (Auschwitz) und die USA (New York) verteilt wurden und eine große Auswahlmöglichkeit für verschiedene Ausstellungsprojekte bieten. Zu Lebzeiten wurden seit 1976 nur wenige einzelne Werke Olères in Paris, New York und Chicago ausgestellt und noch seltener publiziert (z.B. 5 Zeichnungen im Bildband „Spiritual Resistance“, 1981).

Ausstellungsraum im Museum Auschwitz, Foto © A. Kilian 2018

Nach Olères Tod wurden im Jahre 1985 insgesamt 44 Werke Yad Vashem sowie 1988 insgesamt 18 Bilder dem Museum of Jewish Heritage in New York übergeben. Die erste Sonderausstellung von Olères Werken wurde am 30. April 1997 in Yad Vashem, Jerusalem, mit 33 Zeichnungen aber auch ausgewählten Gemälden und Skulpturen gezeigt. Mehrere Werke wurden allerdings zum ersten Mal bereits zu Olères Lebzeiten um 1980 im Getto Fighters House ausgestellt. Die zweite große offizielle Sonderausstellung fand im Jahre 2005 im Mémorial de la Shoah in Paris statt. Unter den 53 Kunstwerken waren 45 Leihgaben aus dem Getto Fighters House. Der bislang letzte Ausstellungsort Berlin hat nach dem Ende der Schreckensherrschaft des Dritten Reichs nicht nur eine besondere symbolische Bedeutung, sondern war bereits vor 100 Jahren Schauplatz einer Ausstellung seiner Holzschnitte und auch Olères fester Wohnsitz von spätestens 1921 bis Ende 1923 (seinem Enkel zufolge sogar bis 1928), nachdem er von der „Europäische Film-Allianz“ (E.F.A.) im berühmten Zoo-Atelier in der Hardenbergstraße 29 als Bühnenbildner und Maler engagiert worden war.

Ausstellungseröffnung durch Dr. Piotr M. A. Cywiński, Foto © A. Kilian 2018

Andreas Kilian

Auszug aus der Presserklärung zur Ausstellungseröffnung am 30.10.2018 (Übersetzung aus dem Englischen):

Bei der Eröffnung der Ausstellung stellte der Direktor des Auschwitz-Museums, Dr. Piotr M. A. Cywiński, fest, dass es ihnen erstmals gelungen sei, die überwiegende Mehrheit der Werke von David Olère an einem Ort zu sammeln. „Die Ausstellung zeigt nicht nur Ereignisse, die sich im geheimnisvollsten und gesichertsten Raum von Birkenau ereignet haben, sondern auch die unsäglichen Traumata, die Menschen erlebt haben. Sie sind auch eine Art Aufschrei für die ganze Welt und für uns, damit die Zukunft dieser Welt anders aussieht als ihre Vergangenheit“ , betonte Cywiński.

Die Ausstellung zeigt die nachfolgenden Phasen des Vernichtungsprozesses, von der Ankunft an der Rampe und der Selektion über das Töten in Gaskammern bis hin zur Verbrennung von Leichen in den Krematorien, die kurz nach dem Krieg in dokumentarischen Zeichnungen und dann in riesigen Gemälden festgehalten wurden. Den Werken sind Auszüge aus den Berichten und Aufzeichnungen von Sonderkommando-Häftlingen beigefügt.


Einführungsrede von Dr. Piotr M. A. Cywiński in Oswiecim, Foto © A. Kilian 2018

Kuratoren der Ausstellung der Werke von David Olère in der Gedenkstätte Auschwitz sind Agnieszka Sieradzka, Kunsthistorikerin an den Museumssammlungen, der Enkel des Künstlers Marc Oler und Serge Klarsfeld, Vizepräsident der Fondation pour la Mémoire de la Shoah, der den Ausstellungskatalog von Olères Werken in Frankreich veröffentlicht hat. Serge Klarsfeld wies bei der Eröffnung der Ausstellung darauf hin, dass im Inneren der Krematorien keine Fotos gemacht wurden. „Keiner der Führer der Endlösung war gespannt darauf, was sich in bestimmten Phasen der Vernichtung ereignet hat, als die am Prozess beteiligten SS-Männer alle möglichen Standards überschritten. Ohne David Olère, Lager Nr. 106 144, seine künstlerischen und intellektuellen Fähigkeiten, die dazu beitrugen, die Ereignisse, die sich hier ereigneten, nachzubilden, hätten wir uns nicht vorstellen können, was der Paroxysmus des Hasses gegen die Juden zur Folge hatte, was Selektion bedeutete“ , sagte Klarsfeld.

Einführungsrede von Serge Klarsfeld in Oswiecim, Foto © A. Kilian 2018

Die riesigen hellen Leinwände tragen die Spuren seiner traumatischen Erfahrung. In seinen Gemälden sehen wir nicht nur den Vernichtungsprozess, sondern auch sein Leiden, das durch das, was er hier sah und erlebte, verursacht wurde. Viele Jahre lang wurde sein Werk missverstanden und unterschätzt. Bis heute ruft es widersprüchliche Emotionen hervor. Wenn wir jedoch diese Leinwände immer genauer und näher betrachten, entdecken wir eine andere historische Tatsache, diese visuelle Form: die Phasen des grausamen Vernichtungsprozesses, der im größten deutschen NS-Vernichtungslager Auschwitz durchgeführt wurde“ , sagte Agnieszka Sieradzka bei der Eröffnung der Ausstellung.

Mein Großvater David Olère war ein Künstler, Maler und Bildhauer, aber vor allem eine wichtige Stimme, die von Frieden und Menschlichkeit sprach. Er überlebte die schwärzeste Erfahrung des Vernichtungslagers in Birkenau und war aus erster Hand Zeuge der Tragödie und des Untergangs der Menschheit. Seine Erfahrungen und Erinnerungen replizierte er in seinen Werken. Er wollte der Welt zeigen, warum ein solches Ereignis nie wieder vorkommen sollte. Er wollte, dass die Menschen Frieden erleben“ , sagte Marc Oler.


Einführungsrede von Agnieszka Sieradzka in Oswiecim, Foto © A. Kilian 2018








        

Ausstellungswand mit Zeichnungen und Gemälden sowie Skulptur David Olères im Museum Auschwitz, Fotos © A. Kilian 2018


Hinweise & Anmerkungen:


Die Presse-Erklärung und Fotos zur Ausstellung finden sich auf der Webseite: http://auschwitz.org/en/museum/news/unique-exhibition-david-olre-the-one-who-survived-crematorium-iii,1332.html

Unterstützend begleitet wird die Ausstellung im Bundestag durch den Rundfunk Berlin-Brandenburg. Die rbb-Intendantin Patricia Schlesinger setzte sich persönlich dafür ein, die renommierte TV-Reihe „Auschwitz und ich“ anlässlich der Bundestagsausstellung u.a. mit Hintergrundinformationen über David Olère und sein Schaffen erheblich zu erweitern.

Weiterführende Informationen, Interview-Ausschnitte und eine Bildgalerie mit 15 Werken des Künstlers finden Sie auf: https://auschwitzundich.ard.de/, https://auschwitzundich.ard.de/erinnern-an-auschwitz/die-kunst-des-david-olere/ sowie auf: https://webdoku.rbb-online.de/david-olere-chronist-von-auschwitz#237960

Informationen über die Ausstellung im Deutschen Bundestag: https://www.bundestag.de/besuche/ausstellungen/parl_hist#url=L2Jlc3VjaGUvYXVzc3RlbGx1bmdlbi9wYXJsX2hpc3Qva3JlbWF0b3JpdW0tNjczNjUw&mod=mod457344

An David Olères Schaffen sowie kunsthistorischen Analysen seiner Werke interessierten Lesern können einige aktuelle Artikel empfohlen werden, die im Folgenden auszugsweise zitiert werden:

  1. Nicholas Chare/ Dominic Williams: The Auschwitz Sonderkommando: Testimonies, Histories, Representations. Houndmills, Basingstoke, Hampshire, New York 2018, p. 129-169 (Chapter 5: Figure Studies from the Grey Zone: David Olère).
  2. Carol Zemel: Enduring Witness: David Olères Visual Testimony, in: Nicholas Chare/ Dominic Williams (Ed.): Testimonies of Resistance: Representations of the Auschwitz-Birkenau Sonderkommando, New York/ Oxford 2019, p. 182-192.
  3. Véronique Chevillon: Quand entendra-t-on „Le Cri“ de David Olère?, in: Philippe Mesnard (Ed.): Sonderkommando et Arbeitsjuden. Les travailleurs forcés de la mort, Paris 2015, p. 165-182.



(Letzte Änderungen: 09.12.2019 sowie 18.01.2020)

Internationale Sonderkommando- Konferenz: 

“Telling, Describing, Representing Extermination. The Auschwitz Sonderkommando, their Testimony and their Legacy”/

“Die Vernichtung erzählen, beschreiben, darstellen. Das Sonderkommando von Auschwitz, sein Zeugnis und sein Vermächtnis“

 vom 12.–13.04.2018 in Berlin

organisiert vom Centre Marc Bloch und dem Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin,

Leitung: Aurelia Kalisky und Dominic Williams

   

Einführungsreden von Aurelia Kalisky und Dominic Williams in Berlin, Fotos © A. Kilian 2018

Pressetext (Übersetzung aus dem Englischen)

„Die Sonderkommandos in Auschwitz waren Zwangsarbeiter in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau, die gezwungen waren, die Leichen der Ermordeten zu beseitigen. Die Sonderkommandos, die von anderen Häftlingen oft als Kollaborateure gebrandmarkt wurden, waren zentrale Augenzeugen des Prozesses der Massentötung und konnten sogar das, was sie sahen, festhalten und ihre Erfahrungen in Fotos, Dokumenten und Schriften darstellen, die sie aus dem Lager geschmuggelt oder auf dem Gelände der Krematorien begraben hatten.

Die Erfahrung und Geschichte des Sonderkommandos stand im Mittelpunkt einer Reihe von entscheidenden Themen in den Nachkriegsdebatten über die Shoah. Da die Gaskammer zu einem der bedeutendsten Elemente der westlichen Phantasie über den Holocaust wurde, verlieh die Nähe der Sonderkommando-Mitglieder zum Vernichtungsprozess ihren Zeugnissen einen besonderen und einzigartigen Status. Das Sonderkommando ist auch eine Schlüsselfigur, auf die in Diskussionen über Kollaboration und Widerstand Bezug genommen wird, insbesondere die Konzeptualisierung dessen, was Primo Levi die „Grauzone“ nannte.

Die Sonderkommandos sind jedoch größtenteils mit der Abneigung konfrontiert worden, sich mit ihren Zeugnissen und ihrer Geschichte auseinanderzusetzen. Während eine Handvoll Historiker bereits vor der Jahrtausendwende wichtige Arbeiten über diese Gruppe vorgelegt hatten, haben Wissenschaftler und Künstler erst in den letzten Jahren begonnen, sich intensiv mit den Schriften auseinanderzusetzen. Zum Thema Sonderkommando sind in jüngster Zeit einige bedeutende Kunstwerke entstanden, wie Gerhard Richters Birkenau-Serie (2014) und der Film Son of Saul (2015).

Programm und Flyer des Centre Marc Bloch/ Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin, Hintergrundfoto auf der Vorderseite: © A. Kilian 2016


Diese Konferenz wird auf dieses gestiegene Interesse reagieren und sich mit dem Sonderkommando befassen. Unsere Ziele sind:

Förderung der Diskussionen über die Manuskripte des Sonderkommandos selbst, unter Berücksichtigung ihrer Bearbeitung, Ausstellung, Übersetzung und Interpretation. Wie kann die diskrete, ja fast stille oder nicht vorhandene Rezeption dieser Zeugnisse interpretiert werden? Ziel dieser Konferenz ist es, die verschiedenen – politischen, ideologischen, aber auch disziplinären – Rezeptionsweisen nach den verschiedenen sprachlichen, kulturellen und geografischen Gebieten zu untersuchen.

Wir wollen auf die Herausforderung Sonderkommando in Bezug auf die Vorstellungen von Holocaust-Zeugnissen in Kunst, Philosophie, Literatur und Geschichte reagieren. Wir möchten über die Singularität der schriftlichen und mündlichen Zeugnisse von Sonderkommando-Mitgliedern nachdenken, sei es durch die spezifischen ästhetischen Formen, die einige von ihnen erkundet haben, oder durch die Reflexion der subjektiven Erfahrung der Katastrophe, die in allen Zeugnissen vorhanden ist. Auf diese Weise wird es möglich sein, darüber nachzudenken, wie die Zeugenaussagen und die Geschichte der Shoah, und insbesondere das seit langem bestehende repräsentative Tabu der Gaskammern, als Reaktion darauf neu überdacht werden müssen.

Wir wollen den größeren Korpus an Zeugnissen, historischen Studien und Kunstwerken zum Sonderkommando betrachten. Unser Ziel ist es, zu verstehen, inwieweit das Verständnis und Missverständnis ihrer Erfahrungen in den Krematorien und das moralische Urteil, dem sie ausgesetzt waren, die Interpretation von Historikern und Holocaustwissenschaftlern und, in größerem Umfang, die Repräsentation des Sonderkommandos im kulturellen Gedächtnis beeinflusst hat.“

Quelle: https://www.zfl-berlin.org/veranstaltungen-detail/items/telling-describing-representing-extermination-the-auschwitz-sonderkommando-their-testimony-and-their-legacy.html

Videos der Konferenz sind bei dailymotion.com zu finden, z.B. der Vortrag von Andreas Kilian unter dem Pfad: https://www.dailymotion.com/video/x6nlf2z

   

Abstract:

Andreas Kilian, Individuum und Widerstandsaktivist im Sonderkommando von Auschwitz-Birkenau: Marcel Nadjary in den Erinnerungen anderer Zeitzeugen

Marcel Nadjary war der einzige Häftling unter den Sonderkommando-Chronisten, der Auschwitz überlebte und dessen auf dem Krematoriumsgelände verstecktes Zeugnis nach dem Krieg aufgefunden wurde. Im Jahre 1947 verfasste er zudem einen Überlebendenbericht, der 20 Jahre nach seinem frühen Tod im Jahre 1991 erstmals vollständig veröffentlicht wurde. Vor dem Hintergrund von Nadjarys Aufzeichnungen und konspirativen Aktivitäten im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wird in gegenständlichem Aufsatz untersucht, welche Rolle Marcel Nadjary in der sogenannten Auschwitzer Erinnerungsliteratur spielt und wie seine Person in den Aussagen anderer Überlebender und Zeitzeugen dargestellt wird. Zudem sollen die Darstellungen Nadjarys durch Zeugen aus der Vorkriegszeit, Mithäftlingen aus Auschwitz und Bekannten aus der Nachkriegszeit miteinander verglichen werden und der Frage nachgegangen werden, ob sie Nadjarys eigene Berichterstattung und Selbstdarstellung untermauern können oder möglicherweise von ihr beeinflusst worden waren. Des Weiteren wird untersucht, ob in den herangezogenen Erinnerungsberichten Handlungsräume erkennbar sind, die von Persönlichkeiten wie Marcel Nadjary mit seinen individuellen Überlebensstrategien für konspirative Aktivitäten im Zentrum der Vernichtung geschaffen worden waren.

Für die Untersuchung wurden Quellen publizierter Zeitzeugenberichte und der Oral History herangezogen, die in griechischer, englischer, hebräischer, jiddischer, deutscher, französischer und italienischer Sprache zum Thema hinterlassen worden waren. Die Zusammenstellung und Zitierung dieser Quellen werden in gegenständlicher Untersuchung erstmals in dieser Form veröffentlicht.

Präsentationsfolien © A. Kilian 2019


(Letzte Änderung: 09.12.2019)