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Fernseh-Dokumentation:

Sklaven der Gaskammer – Das jüdische Sonderkommando in Auschwitz 

 

Preview:

Montag, 22. Januar 2001, 11.00 Uhr im Deutschen Filmmuseum, Frankfurt am Main

Erste TV-Ausstrahlungen:

  1. Mittwoch, 24. Januar 2001, 23.30 Uhr in der ARD
  2. Samstag, 27. Januar 2001, 21.00 Uhr, SW3
  3. Dienstag, 23. Januar 2002, 21.45 Uhr im HR 3
  4. Mittwoch, 03. April 2002, 23.00 Uhr im NDR3
  5. Dienstag, 06. August 2002, 23.15 Uhr auf Phoenix
  6. Montag, 11. November 2002, 20.15 Uhr in 3Sat

 

 Henryk Mandelbaum (1922-2008) in Brzezinka, © ARD 2000



Ein Film von Eric Friedler (D 2000)

Redaktion: Barbara Siebert und Andreas Kilian

 

Der 44-minütige Film erzählt die Leidens- und Überlebensgeschichten von Häftlingen des so genannten Sonderkommandos in den Krematorien von Auschwitz-Birkenau.

Nur wenige «Sonderkommando-Häftlinge« haben überlebt und von diesen Überlebenden sind auch nur wenige bereit, über ihre Erlebnisse zu berichten. Viele von ihnen schämen sich bis heute, weil sie als Juden dazu verdammt worden waren, die Tragödie der zur Vernichtung bestimmten Menschen hilflos mitzuerleben. Für diesen Film brachen einige von ihnen erstmals ihr Schweigen und bezeugen die Vorgänge im Zentrum des industrialisierten Massenmordes. Sie taten dies auch deswegen, weil heute – Jahrzehnte nach dem Holocaust – immer häufiger unwidersprochen behauptet wird, die Gaskammern hätten niemals existiert.



Henryk Mandelbaum, Brzezinka, © ARD 2000

Die jüdischen Häftlinge des Sonderkommandos lebten im innersten Zirkel der Todesmaschinerie. Die Deutschen zwangen sie, unmittelbare Zeugen des Völkermordes zu sein. Das Morden besorgte die SS, doch die Beseitigung der Beweise und Spuren der Verbrechen wurde den im Lager völlig isoliert untergebrachten jüdischen Häftlingen des Sonderkommandos zugewiesen. Als Geheimnisträger der Vernichtung waren auch sie selbst zum Tode bestimmt. Primo Levi bezeichnet die Erfindung und Aufstellung der Sonderkommandos als das dämonischste Verbrechen des Nationalsozialismus. Er schreibt: «Mit Hilfe dieser Einrichtung wurde der Versuch unternommen, das Gewicht der Schuld auf andere, nämlich auf die Opfer selbst, abzuwälzen, so dass diesen – zur eigenen Erleichterung – nicht einmal mehr das Bewusstsein ihrer Unschuld bleiben würde.«

Die Arbeitsvorgänge in den Krematorien von Auschwitz-Birkenau waren ökonomisch und rationell organisiert. Die SS teilte die Häftlinge des Sonderkommandos im Bereich der Gaskammern und Verbrennungsanlagen in mehrere Gruppen ein. Die Häftlinge der ersten Gruppe erwarteten die Opfer in den Entkleidungsräumen und waren gezwungen – gelegentlich auch durch ablenkende und täuschende Erklärungen – dafür zu sorgen, dass sich die Menschen zügig entkleideten. Diese Häftlinge sammelten danach auch die abgelegten Kleider und Besitztümer der Opfer, säuberten die Entkleidungsräume und bereiteten diese zur Aufnahme eines neuen Transports vor.

Jehoshua Rosenblum (1923-1998), Haifa, © A. Kilian 1995

Eine zweite Arbeitsgruppe musste nach dem Vergasungsvorgang die Leichen aus den Gaskammern schleppen und zu den Öfen des Krematoriums oder den Verbrennungsgruben befördern. Darüber hinaus mussten sie die Gaskammern reinigen.

Eine dritte Gruppe von Häftlingen war gezwungen, den Toten die Goldzähne zu ziehen und die Haare abzuschneiden. Eine weitere Arbeitsgruppe musste die Leichen dann in die Öfen des Krematoriums schieben.

Schließlich mussten Häftlinge des Sonderkommandos die Asche der Ermordeten entsorgen und somit die letzten Spuren der Vernichtung beseitigen.


Henryk Mandelbaum, Brzezinka, © ARD 2000

«Wir lebten wie auf einem anderen Planeten« – so versucht einer der Überlebenden, die gespenstische Atmosphäre, die im Sonderkommando herrschte zu beschreiben. Auf einem Planeten auf dem es normal war, dass sich täglich tausende lebendige Menschen in kürzester Zeit in nichts als Rauch und Asche verwandelten.

Die Berichte der Überlebenden des Sonderkommandos belegen aber nicht nur die Anatomie der Krematorien von Birkenau, sondern sind erschütternde Zeugnisse dafür, dass sie selbst diesen Ort nur äußerlich verlassen konnten. In ihren Träumen sehen sie die ineinander verknäulten Leichen in den Gaskammern, die brennenden Menschen in den Öfen und die Menge der Goldzähne, die man den Toten aus den Mündern riss. Denn auch dies gehört zur Geschichte des Massenmordes: die Ausbeutung des Menschen bis zum letzten. Es ging nicht nur um Mord, sondern immer auch um Raub und Bereicherung: «Geld und Gold – das war alles, was die Deutschen wollten«, erzählt ein Sonderkommando-Häftling, der zeitweise die Goldzähne aus den Mündern der Toten ziehen musste.

Die wenigen Überlebenden des Sonderkommandos versuchten nach dem Krieg zu vergessen und ein neues Leben zu beginnen. Niemand sollte wissen, was sie gezwungen waren zu tun. Die aufgedrängten Schuld- und Schamgefühle mancher Überlebender waren so groß, dass sie noch nicht einmal die nächsten Familienangehörigen eingeweiht hatten. Aus diesem Grund war jede Interviewanfrage eine monatelange Überzeugungsarbeit. Eine Zustimmung erfolgte oft erst nach vielen Vorgesprächen und langem Zögern. Manche Interviews dauerten dann bis zu zehn Stunden und fanden im Beisein der Angehörigen statt, die bei diesem Anlass erstmals mit den Geschehnissen konfrontiert wurden. «Fünfzig Jahre habe ich kein Wort gesagt, erst jetzt und heute war es mir möglich, über die Leichenberge und die Toten zu sprechen, denen ich die Goldzähne herausnehmen musste.«


 

Shlomo (1923-2012) und Marika Venezia, Rom, © A. Kilian 2000

Dass die Überlebenden nun mit dem deutschen Fernsehen sprachen, mag Zufall sein. Oder wie es einer der Protagonisten nach dem Interview ausdrückte: «Es ist schon Ironie des Schicksals, dass ich gerade einem Deutschen das erzähle, was ich meinem eigenen Sohn bis heute nicht erzählen konnte. Aber das ist gut, sehr gut … komm, lass uns einen Tee trinken.«


Hinweise:

Der Pressetext von Barbara Siebert und Andreas Kilian wurde am 06.12.2000 veröffentlicht auf:

www.swr.de/presse/archiv/2000/12/01/732/index.html

Wir danken der ARD für die Genehmigung, Fotos aus dem Dokumentarfilm und den Pressetext auf www.sonderkommando-studien.de zu veröffentlichen.




Pressestimmen:

 

„Friedlers präzise Chronik (..) ist zugleich die erste Dokumentation, die sich gezielt mit dem Schicksal der Sonderkommando-Häftlinge beschäftigt.“

DIETER DEUL (Berliner Morgenpost vom 24.01.2001)

„Es ist ein Film, der berührt wie kaum ein anderer. Er handelt vom Töten, direkt und unmittelbar. Er handelt von der Tragödie, dass Nazi-Schergen jüdische Häftlinge zwangen, bei der Vernichtung in den Krematorien von Auschwitz-Birkenau mitzuwirken.“

GITTA DÜPERTHAL (TAZ vom 24.01.2001)

„Friedler zeigt mit diesem hervorragenden Film eine Welt zerstörter Seelen.“

RICHARD CHAIM SCHNEIDER (SZ vom 24.01.2001)

„Die große Wahrhaftigkeit und der Mut, mit dem sich diese heute alten Männer in ihrer letzten Lebensphase noch einmal der Erinnerung ausliefern, ist bewundernswert. Ihnen zuhören zu dürfen ist eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen sollte.“

(www.akdh.ch)

„Wie bei Claude Lanzmanns Film ‚Shoah’ beteiligt der Autor Eric Friedler die Zuschauer auf sehr sensible, aber intensive Art an diesem Prozess schmerzhaften Erinnerns.“

GITTA DÜPERTHAL (TAZ)

„Dass diese alten Männer, so ruhig und gefasst, überhaupt darüber sprechen (können), ist ein Geschenk und ein Vermächtnis.“

MICHAEL HANFELD (FAZ vom 24.01.2001)

Es spricht für die Klugheit und Feinfühligkeit des Filmemachers Friedler, dass er einer völlig undramatischen Dramaturgie vertraut. Dem Erzählten gibt es nichts hinzuzufügen. Er gibt seinen Zeitzeugen lediglich noch eine Lebensgeschichte nach dem Krieg.“

RICHARD CHAIM SCHNEIDER (SZ)

Henryk Mandelbaum und Shlomo Venezia in Rom, © A. Kilian 2000

„In diesem Film sind die Überlebenden nicht einfach zu Stichwortgebern degradiert, deren Aussagen historische Sachverhalte menschlich illustrieren. Hier tragen sie selbst die Handlung, prägen die Dramaturgie und werden daher auch als Individuen begreifbar.“

(www.akdh.ch)

„Anders als die plakativen Dokumentationen über den Holocaust geht Eric Friedler in seinem stillen, eindringlichen Film vor, der die Geschichte der jüdischen ‚Sonderkommandos’ erzählt (…) Friedler nimmt sich völlig zurück. Er hört zu: den Häftlingen, die das Grauen täglich mit ansehen mussten, die Arbeit im Schatten des Todes zu leisten hatten(…). Friedler gibt den wenigen Überlebenden der ‚Sonderkommandos’ alle Zeit.“

RICHARD CHAIM SCHNEIDER (SZ)

„Eric Friedler orientiert sich ganz an den Überlebenden. Die Interviews sind wenig standardisiert, er lässt den Interviewten so viel Raum wie möglich. Er respektiert seine Gesprächspartner, blendet im richtigen Moment ab, enthält sich ausschweifender Kommentare. (…) Er nimmt sich dabei selbst so weit zurück, dass die spezifischen Produktionsbedingungen des Films unsichtbar werden.“

LUTZ EICHLER (Jungle World vom 24.01.2001)

„Nicht nur die unfassbare Grausamkeit des Geschehens wird in Friedlers ruhigem Film offenbar, der in der Montage von Gesprächen, Aufnahmen aus Auschwitz und Bildern ehemaliger Häftlinge einen besonderen, getragenen Rhythmus und eine Bildsprache findet, die zu bewegen vermag wie vielleicht ein Gemälde von Chagall.“

MICHAEL HANFELD (FAZ)

Shlomo Venezia und Henryk Mandelbaum in Rom, © A. Kilian 2000

„Eric Friedler illustriert ihre Erinnerungen als sehr subtile Chronik, ohne dramaturgische Ablenkung und mit skizzenhaften Zeichnungen des KZ-Häftlings David Olere. Diese sind beklemmender als jedes filmische Material.“

DIETER DEUL (Stuttgarter Zeitung vom 24.01.2001)

„Kein Historiker erklärt die Fakten, kein Philosoph erläutert die existentielle Situation der Häftlinge des Sonderkommandos. Stattdessen konzentriert sich der Film ausschließlich auf die Aussagen der Überlebenden selbst. Dies bedeutet auch, dass der Zuschauer keine endgültige Antwort erhält. Er kann keine kluge, analysierende Distanz zwischen sich und den Protagonisten herstellen. Der furchtbare Zwiespalt, in dem die Häftlinge des Sonderkommandos in den Krematorien von Auschwitz lebten, rückt so fast unerträglich nah an den Betrachter heran.“

(www.akdh.ch)

 

FILMAUSSCHNITTE, PRESSEFOTOS, LITERATURHINWEISE, SOWIE WEITERE ANGABEN ZUR DOKUMENTATION sind auf der Internetseite „Sklaven der Gaskammer“ von www.shoah.de und www.akdh.ch abrufbar.


(Letzte Änderung: 22.08.2004)