Zum Begriff „Sonderkommando“ und verwandten Bezeichnungen:
In Auschwitz-Birkenau löste die Bezeichnung „Sonderkommando“ bei erfahrenen Häftlingen seit Mai 1942 Angst und Schrecken aus, da bekannt war, dass dieses Kommando bei „Sonderbehandlungen“ (S.B.), der Tarnbezeichnung für den Massenmord und die restlose Beseitigung der Opfer, eingesetzt wurde.
Der Begriff „Sonderkommando“ hatte bereits vor Auschwitz Tradition und war nicht etwa eine Wortschöpfung der Auschwitzer „Endlöser“. Die Entwicklung der nationalsozialistischen Vernichtungsmethoden ist sogar exemplarisch an dem Bedeutungswandel des Begriffs „Sonderkommando“ nachzuvollziehen, der in der modernen Todesfabrik Auschwitz seinen tragischen Höhepunkt fand.
1939 noch als Umschreibung für die polizeilich angeordnete Exekution „Reichsdeutscher“ Häftlinge verwendet und im September 1942 als „polizeiliche Sonderbehandlung“ auf die Bedeutung „Vernichtung durch Arbeit“ für „Asoziale Elemente aus dem Strafvollzug“ ausgeweitet, wurde sie bereits 1941 (unter dem Aktenzeichen 14 f 13) als Tarnbezeichnung für die sogenannte Euthanasie in den Konzentrationslagern geführt und 1942 als Pseudonym für formalitätslose und umfangreiche Massentötungen durch Giftgas in Vernichtungslagern benutzt. Die Durchführung der „Sonderbehandlung“ wurde frühzeitig den sogenannten Sonderkommandos anvertraut. Diese waren strengstens an eine Schweigepflicht gebunden und wurden für ihre Tätigkeit mit verschiedenen Privilegien vergütet. Die Durchführung einer „Sonderbehandlung“ wurde als „Sonderaktion“ bezeichnet, die verrichtete Arbeit nannte man „Sondereinsatz“.
Im Unterschied zum „Sonderkommando“ wurde die Abkürzung „S.K.“ in Auschwitz-Birkenau für die „Strafkompanie“ verwendet. (Steinboden in Block 1 der Strafkompanie in Lagerabschnitt BIb, © A. Kilian 1992)
Seit Ende Juni 1941 waren die „Sonderkommandos“ und „Einsatzkommandos“ der Einsatzgruppen des Sicherheitsdienstes (SD) und der Sicherheitspolizei (SiPo) mit der Durchführung der systematischen Massenmorde im Osten, seit November 1941 mit Unterstützung von modernen „S-Wagen“, den „Spezial- oder Sonder-Wagen“ genannten mobilen Gaskammern, betraut. Der Unterschied zwischen „Einsatzkommandos“ und „Sonderkommandos“ bestand darin, dass letztere ursprünglich für den Einsatz im Frontgebiet vorgesehen waren. Die seit Dezember 1941 eingerichteten Vernichtungslager wurden von „SS-Sonderkommandos“ geführt: Chelmno vom „Sonderkommando Lange“, das waren Angehörige der SiPo und Schutzpolizei (SchuPo), in der Zeit von Dezember 1941 bis März 1942 und von März 1942 bis April 1943 unter gleichem Namen aber unter Führung von Hans Bothmann, vom „Sonderkommando Bothmann“ in der Zeit von April 1944 bis August 1944 und von September 1944 bis Januar 1945. Das „Sonderkommando Lange“ war schon als Untereinheit einer Einsatzgruppe im Mai und Juni 1940 an Euthanasie-Morden in Polen beteiligt.
Die Vernichtungslager der „Aktion Reinhardt“, Belzec von März 1942 bis Juni 1943, Sobibor von Mai 1942 bis Oktober 1943 und Treblinka von Juli 1942 bis November 1943, wurden als „Sonderlager“ bezeichnet. Die zugeführten Transporte wurden im internen Sprachgebrauch deutscher Behörden „Umsiedlersonderzüge“ genannt. Deutsches Lagerpersonal wurde „SS-Sonderkommando“ genannt, zum Beispiel „SS-Sonderkommando Treblinka, Distrikt Warschau“, oder „SS-Sonderkommando Belzec, Distrikt Lublin“.
Zeitgenössische Lokomotive auf einem Abstellgleis in Brzezinka sowie Nebengleis zur ehemaligen alten Selektionsrampe (Mitte) und Depothallen hinter der alten Rampe, © A. Kilian 1994
„Sonderdienstkommando“ wurde der Begleitschutz der RSHA-Transporte genannt (RSHA: Reichssicherheitshauptamt). In Chelmno, Belzec, Sobibor und Treblinka wurden die jüdischen Häftlinge nicht als Sonderkommando bezeichnet. Die in diesen reinen Vernichtungslagern als „Arbeitsjuden“ bezeichneten Häftlinge wurden in den „Totenlager“ genannten Vernichtungszonen nur abwertend „Totenjuden“ oder „Leichenjuden“ gerufen. Im Unterschied zum Auschwitzer Sonderkommando waren die in den Todeszonen der Vernichtungslager der Aktion Reinhardt eingesetzten Zwangsarbeiter ausschließlich mit der Leichenbeseitigung, nämlich mit der Räumung der Gaskammern, dem Vergraben, Exhumieren und Verbrennen der Toten, beschäftigt.
Gelände des „Roten Hauses“ (Vergasungsbunker 1), Brzezinka, © A. Kilian 1994
Mit Beginn der Massenvernichtung in Auschwitz- Birkenau im Mai 1942 wurde nur eine kleine Arbeitsgruppe der im Vernichtungsprozess eingesetzten Häftlinge Sonderkommando gerufen. Es handelte sich dabei um zwei bis zu 50 Mann starke Arbeitsgruppen, die direkt an den beiden Birkenauer Vergasungsstätten arbeiten mussten. Die beim Ausheben der Massengräber und beim Verscharren der Leichen eingesetzten Häftlinge wurden anfänglich als Begrabungskommando geführt und bereits im August 1942 inoffiziell „Offenes Sonderkommando“ genannt. Gemeinsam und einheitlich als „Sonderkommando“ bezeichnet wurden alle im Vernichtungsbereich eingesetzten Häftlinge erst, als im September 1942 die Exhumierung der Leichen angeordnet und mit der Massenverbrennung der Leichen in Birkenau begonnen wurde. Das zu dieser Tätigkeit bestimmte Arbeitskommando wurde unter dem Namen „Sonderkommando Hössler“ geführt und nach dem ersten Kommandoführer der im Vernichtungsbereich eingesetzten Häftlingskommandos SS-Hauptsturmführer Franz Hössler benannt.
Zweifellos können hierbei die Arbeitskommandos des Initiators und Befehlshabers der „Enterdungsaktion“ im Osten, die Todeskommandos von SS-Standartenführer Paul Blobel, als Vorbild betrachtet werden. Seine unter der Aktenziffer „1005“ geführten „Sonderkommandos 1005“ wurden intern auch „Sonderkommando Blobel“ genannt.
Gelände der Massengräber und Verbrennungsgruben (bei „Bunker 2“), aus dem Erdreich gespülte Stücke menschlicher Knochen; Brzezinka, © A. Kilian 1992
Die Bezeichnung „Sonderkommando“ bezog sich erstmals im Fall der „Sonderkommandos 1005“ auf deutsches und aus Häftlingen zusammengesetztes Personal und wurde in diesem Zusammenhang außerhalb der „Aktion 1005“ nur noch in Auschwitz-Birkenau verwendet, wobei die dem Auschwitzer Sonderkommando zugeteilten SS-Wachen nicht als Sonderkommando-Angehörige bezeichnet wurden. Sie waren Angehörige der sogenannten Politischen Abteilung im KL Auschwitz. Belegt wird die offizielle Bezeichnung als „Sonderkommando“ nicht nur durch Aussagen ehemaliger Sonderkommando-Häftlinge, sondern auch durch Einträge in Personalkarten der Arbeitseinsatzkartei des Arbeitsdienstes im KL Auschwitz. In den Arbeitseinsatzlisten wurde das Sonderkommando dagegen als Arbeitskommando „Heizer“ unter anderem Namen geführt. Seit der Inbetriebnahme der vier neuen Krematorien in Birkenau wurde es u.a. als „Kommando 206-B, Heizer Krematorium I und II“ und „Kommando 207-B, Heizer Krematorium III und IV“ verzeichnet und seit Ende Juli 1944 von „Kommando 57-B, Heizer Krematorium I, Tagschicht“ bis „Kommando 60-B, Heizer Krematorium IV, Nachtschicht“ (je Ziffer mit dem Buchstaben „B“ jeweils Tag- und Nachtschicht) registriert.
Detailaufnahme des Krematoriumsmodels von Mieczyslaw Stobierski in der Dauerausstellung des Museums Auschwitz, © A. Kilian 2016
Der Augenzeuge Henryk Mandelbaum an seinen ehemaligen Zwangsarbeitsstätten bei Krematorium IV(V), © A. Kilian 2004
Zudem gab es im Getto von Lodz ein jüdisches Sonderkommando, das Teil des von den deutschen einberufenen jüdischen Ordnungsdienstes war. Eine vergleichbare ordnende Tätigkeit hatten diejenigen Sonderkommando-Häftlinge in Auschwitz-Birkenau, die in den Auskleideräumen und –baracken bei den Krematorien und provisorischen Vergasungsbunkern eingesetzt waren.
Die Sonderbehandlung wurde als „geheime Reichssache“ (geh.R.) durchgeführt, die darin Eingeweihten galten als „Geheimnisträger“. An „Sonderaktionen“ Beteiligte erhielten „Sonderverpflegung“, sowohl die SS-Angehörigen wie auch die Häftlinge, wenn auch in anderem Maße. Der Unterschied bestand vor allem darin, dass sich SS-Angehörige wegen der abfallenden Sonderzuteilungen um den Einsatz bei Sonderaktionen drängten, während die Häftlinge zwangsweise in das Sonderkommando eingewiesen wurden. SS-Angehörige erhielten für ihren Sonderdienst zusätzlich „Sonderurlaub“. Häftlinge, die von ihren Bewachern ermordet wurden, verhöhnte die SS, indem sie die Tat als Verschickung in den „Sonderurlaub“ lächerlich machte.
In der Terminologie der nationalsozialistischen Sprachregelung ist der Begriff „Sonderkommando“ folglich wie auch andere „Sonder“-Begriffe in ein Verzeichnis der Tarnbezeichnungen aufzunehmen. Er steht nicht nur für Verharmlosung, sondern auch für Verleugnung, Verdrängung und für radikalen Euphemismus. Die Bezeichnung „Sonderkommando“ stammt aus einer Geheimsprache, die weltweit Tradition hat und steht für Angehörige von Todeskommandos, die als Geheimnisträger betrachtet wurden. Das „Besondere“ liegt letztlich in dem, was das Wort zu verschleiern versucht, nämlich in den Extremsituationen, denen die betreffenden Kommandos ausgesetzt waren. Und darin liegt auch die Infamie des Begriffs.
(Letzte Änderung: 24.08.2004)
Hinweis:
Eine erste Fassung dieses Beitrags wurde in folgendem Artikel veröffentlicht: Kilian, Andreas: Stimmen aus dem „Herz der Finsternis“, in: Mitteilungsblatt der Lagergemeinschaft Auschwitz, Freundeskreis der Auschwitzer, 19.Jg., H.1, (1999), S. 17-18.